Daniela Schünemann ist Vorschullehrerin an der Schule Zollenspieker in Kirchwerder. Während den Schulschließungen in diesem Jahr hat sie sich für ihre Klasse ein digitales Unterrichtskonzept, die „Bärenschule“, einfallen lassen. Insgesamt sind dabei über 50 interaktive Videos für Ihre Schülerinnen und Schüler entstanden, die sie über YouTube zur Verfügung gestellt. Nachfolgend berichtet Daniela Schünemann von ihren Erfahrungen der digitalen Vorschule und hat einige Tipps für all diejenigen zusammengestellt, die den Schritt in den Onlineunterricht wagen möchten – mit einer klaren Empfehlung!
Lehrerin Daniela Schünemann macht’s vor: Gemeinsam mit Klassenbär „Zottel“ bastelt sie eine Zeitkapsel. Die Kinder zu Hause machen es nach.
13.03.2020. Wir haben in Hamburg unseren letzten Ferientag. Mein Sohn Joris hat Geburtstag. Die Medien sind voll von Schlagzeilen um den Coronavirus. In Dänemark sind bereits alle Kitas und Schulen geschlossen. In Deutschland hat das Saarland begonnen, immer mehr Bundesländer ziehen nach. Wir machen einen kleinen Familienausflug, eine Geburtstagsparty fällt aufgrund der aktuellen Situation aus. Unterwegs hören wir Radio, die Kinder aktualisieren auf ihren Smartphones ständig die Nachrichten. Die große Frage ist: werden in Hamburg die Schulen geschlossen? Meine Kinder jubeln auf dem Rückweg, die Nachricht ist da. Die Schulen sollen zunächst für zwei Wochen geschlossen werden.
Bereits in den letzten Tagen, als die Diskussion im Gange war, habe ich mir Gedanken gemacht. Was mache ich, wenn die Schulen geschlossen werden, biete ich meinen Vorschülern Material an, wie kann ich sie am besten erreichen. Mein erster Gedanke war, ich stelle PDFs aus Arbeitsblättern, Ausmalbildern und Bastelanleitungen zusammen. Aber die Vorschule lebt vom direkten Unterricht, vom Kontakt miteinander. Die Kinder können noch nicht lesen, sie brauchen meine Erklärungen und Bilder, die es ihnen veranschaulichen. Deshalb finde ich eine bloße Materialzusammenstellung nicht zufriedenstellend. Unterwegs dann die spontane Idee. Mein Sohn hat eine tolle Kamera und wollte schon immer mal das Filmen ausprobieren. Wie wäre es mit Unterricht per Video? Mein Sohn ist begeistert.
Der erste Videodreh des neuen digitalen Unterrichts. Und … ACTION!
Gleich am nächsten Tag, am Samstag, gehen wir zum ersten Filmdreh. Ich habe mir überlegt, dass ich die Filme an der Unterrichtsstruktur orientiere und das mache, was ich sowieso geplant habe. Die ersten beiden Wochen nach den Ferien hatte ich ja bereits vorbereitet. Die Filme möchte ich im Klassenzimmer drehen, damit die Kinder ein richtiges Unterrichtsfeeling bekommen.
Montag wäre Zahlentag, die neun sollte eingeführt werden. Ich bin total aufgeregt, als wir in der Klasse ankommen. Werde ich mich ständig versprechen? Werde ich blöd aussehen, tausend Gedanken gehen mir durch den Kopf. Joris baut sein Stativ und die Kamera auf, ich setze mich in den Kreis auf meinen Platz vor der Tafel. Tief durchatmen. Wir vereinbaren, dass er mir ein Zeichen gibt, wann es losgeht. Und los…
Ich habe tatsächlich das Gefühl, mit meiner Klasse zu sprechen. Ich erzähle, warum ich nun vor der Kamera sitze und nicht mit den Kindern im Kreis. Wir wollen alle gesund und deshalb zu Hause bleiben. Aber damit wir uns weiter sehen und miteinander Unterricht machen, gibt es jetzt die Videos. Außerdem beginne ich mit der Morgenroutine, die wir auch so haben und frage, welchen Wochentag wir haben. In Zukunft darf dies auch mal Zottel unser Klassenbär sagen, ich frage die Kinder und Eltern oder erzähle es auch selbst.
Dann geht es zum Thema. Ich spreche über die Zahlen, die wir bereits durchgenommen haben, zeige sie an der Tafel und führe die neun ein. Danach zeige ich Zahlenspiele, die in der Schule sehr beliebt waren. Bingo und Zahlenstechen. Ich werde die PDFs dazu bereitstellen, aber wer keinen Drucker hat, kann es ganz leicht selbst basteln. Spontan fällt mir in der Schule ein, dass die Kinder Rätsel lieben. Ich gebe ein Rätsel zum Frühling auf und fordere sie auf, mir dieses per Sprachnachricht oder Video zu beantworten.
Ich habe immer noch ein bisschen Angst, dass ich richtig doof aussehe, mich komisch anhöre oder unverständlich erkläre. Joris schneidet zu Hause das Video, das Schnittprogramm erkundet er selbst. Ich bin froh, so einen technikaffinen Sohn zu haben. Als er fertig ist, überlegen wir, wie wir unseren Kanal auf YouTube nennen sollen. Meine Klasse ist ja die Bärenklasse. Es soll die online Bärenschule werden. Joris zeigt mir den fertig geschnittenen Film, ich bin erleichtert und ganz zufrieden. Klar, es gibt Versprecher, aber das würde es im normalen Unterricht auch geben. Aber es ist alles logisch und verständlich. Am nächsten Tag drehen wir gleich das zweite Video, um schon mal ein bisschen Vorlauf zu haben. Am Dienstag haben wir immer Kunsttag. Der Frühling naht und wir wollten unser Klassenzimmer eigentlich „erblühen“ lassen. Nun zeige ich, wie die Kinder Frühblüher für zu Hause falten und basteln können.
Da die Frühblüher nicht im Klassenzimmer gebastelt werden können, gibt es die Bastelanleitung in diesem Jahr per Video.
Am Montag haben wir in der Schule erst einmal eine Lehrerkonferenz. Das Homeschooling wird organisiert. Ich zeige der Schulleitung mein erstes Video und sie ist begeistert. Mit dem ok verschicke ich den ersten link per E-Mail an die Eltern. Wir haben das Video nicht gelistet, das heißt, man kann es nur per Link öffnen.
Von den Eltern bekomme ich schnell begeisterte Rückmeldungen. Sie freuen sich, dass wir so schnell etwas auf die Beine gestellt haben. Abends bekomme ich die ersten Videos und Sprachnachrichten mit der Rätsellösung. Ein Mädchen zeigt mir ihre eigenen Tulpen und die Kaninchen zu Hause. Ich beschließe, die Bilder der Kinder, die sie mir schicken, auszudrucken und im nächsten Video zu zeigen. Die Gesichter der Kinder verdecke ich aus Datenschutzgründen mit einem Smiley.
Für unser nächstes Video – unseren Forschertag – gehen wir nach draußen. Ich fordere die Kinder auf, selbst Frühlingsdetektiv zu sein und sich nach Anzeichen des Frühlings umzuschauen. Joris nimmt Bilder von Frühblühern und blühenden Bäumen auf und unterlegt dies dann später mit Musik. Dies wird eins von unseren Lieblingsvideos.
Frau Schünemann als Frühlingsdetektivin – die Bärenschule findet immer wieder auch draußen statt.
Vorbereitung ist das A und O
In den nächsten Tagen entwickelt sich so langsam ein bisschen Routine. Zu Hause sammle und notiere ich die Nachrichten und Bilder der Kinder. Ich merke, dass ich mir für das Video den Ablauf genauer notieren muss, auch wenn der Unterricht schon geplant war. So erstelle ich für jedes Video einen Ablauf, so dass ich zur Not, wenn ich etwas vergesse oder mich verhaspele, nachschauen kann. Die Namen der Kinder, die Rätsel- oder Aufgabenlösungen geschickt haben, markiere ich mir farbig. Ich betone aber auch im Video, dass ich mal etwas oder jemanden vergessen oder etwas vertüddel, das heißt mich verspreche oder einen Fehler machen kann. Das passiert jedem Mal und wäre im Unterricht ja auch so. Sie dürfen mir das dann gerne hinterher sagen, so dass ich es richtig stellen kann.
Fehler passieren uns natürlich auch. So zeige ich Bilder von den Kindern, die man durch das Gegenlicht gar nicht erkennen kann. Das sehe ich dann erst, als der Film fertig ist.
Daraus lernen wir aber, Joris setzt sich weiter mit der Technik auseinander und entdeckt auch im Schnittprogramm immer weitere Tools. Wir probieren uns aus. Damit es nicht eintönig wird, hüpfe ich zu Beginn auch schon mal die Zahlen, werde beim Lesen überrascht oder bin „eingeschlafen“, weil es so langweilig ohne die Kinder ist. Marla meine Tochter kommt zum Ballspielen, ich schnipse sie natürlich her und Stella unsere Hündin bekommt auch einen Auftritt.
Ich suche nach Anregungen und Spielen, die spannend für das Video sind und die zu unseren Unterrichtsthemen passen. Im Deutschunterricht sind gerade die Anlaute dran. Der kleine Drache Lobo macht mit den Kindern dazu Spiele. Ich führe diese einfach zum Nachmachen vor und erfahre auch von Mamas, dass die Kinder zu Hause direkt mitmachen. Eine Aufgabe, die sie zu Hause dazu gut erledigen können, sind die Anlautplakate. Gleich am nächsten Tag bekomme ich die ersten zugeschickt.
Auch das tägliche Rätsel wird zur Routine. Es macht Spaß, auch ein bisschen Quatsch zu machen. Ich schnipse mich zum Beispiel woanders hin oder mir etwas in die Hand. Die Kinder im Vorschulalter glauben auch noch ein wenig an Magie. Gerne drehen wir draußen, da kann man für den Zahlentag wunderbar ein Zähltagebuch führen, sich einen Barfußparcours bauen, Regenwürmer suchen oder zu den Anlauten hüpfen. Manchmal nehmen wir gleich zwei Videos auf und heben die Rätsellösungen dann für den darauffolgenden Film auf. Das erkläre ich auch den Kindern.
Das ist schon ziemlich anstrengend. Beide Filme müssen vorbereitet werden, ich baue auf und ab, muss mich auf den nächsten Tag einstellen. Joris muss sich in Geduld üben, die Themen sind für ihn als Teenager ja nicht besonders spannend. Die Kinderlieder und Reime kann er – durch das Schneiden muss er das ja auch noch mehrmals sehen – bald auswendig. Wenn wir uns missverstehen, es zu lange dauert oder ich mich ständig verspreche, bekommen wir uns auch schon mal in die Haare. Aber wir können das immer wieder klären. Ich übe mich in Geduld, abends auf das fertig geschnittene Video zu warten und dann noch mal drüber zu schauen, bevor wir es hochladen. In der nächsten Zeit werden es immer mehr links, die ich verschicke, so dass wir nach zwei Wochen, als die Schulschließungen verlängert werden, beschließen, die Videos auch öffentlich zur Verfügung zu stellen.
Interaktion ist gefragt: Zirkus Corona, Cocktails mixen und manchmal auch ein bisschen zum Affen machen!
Toll ist die Interaktion mit den Kindern. Ein Kind erzählt mir, dass es zu Hause mit seiner Schwester Zirkus Corona spielt. Sofort habe ich die Idee, das für alle Zuschauer anzubieten. Es dauert ein wenig, bis es datenschutztechnisch abgeklärt ist und beinahe habe ich die Idee wieder vergessen. Aber mit Einverständniserklärungen der Eltern ist es in Ordnung und zu den Maiferien rufen wir alle Kinder unserer Schule auf, mitzumachen. Wir erhalten aus allen Klassenstufen tolle Einsendungen: Akrobaten, Trampolinkünstler, Seiltänzer, Zauberer und Clowns – viele Kinder, die zu Hause etwas ganz toll eingeübt haben und stolz ihr Können zeigen. Das Zusammenstellen des Videos ist vor allem für Joris die bisher aufwendigste Arbeit. Lange suchen wir auch nach passender Musik, aber unser Zirkusfilm kann sich sehen lassen.
Der Zirkus Corona war ein voller Erfolg! Die Schülerinnen und Schüler haben tolle Kunststücke per Video eingeschickt.
Nach den Maiferien beginnt der Präsenzunterricht wieder, noch mit besonderen Regelungen. Wir beschließen, weitere Videos anzubieten und reduzieren auf zwei Folgen die Woche. Es gibt noch ein paar Highlights. Zwei Feuerwehrmänner besuchen uns, wir beobachten die Entwicklung von Schmetterlingen und feiern eine Abschiedsparty, für die wir unsere Getränke selbst mixen. Auch hier sind die Kinder nach wie vor toll dabei, auch wenn auch sie und ihre Eltern jetzt weniger Zeit haben.
Mit viel Herzblut dabei! „Manchmal muss man sich einfach ein bisschen zum Affen machen!“
Joris und ich sind beide froh, dass wir dieses Wagnis eingegangen sind. Eine Freundin hat mal zu mir gesagt, als sie ein Video gesehen hat: toll, wie du dich immer zum Affen machst. Und genau das muss man auch mal für die Kinder: sich einfach ein bisschen zum Affen machen. Sie nehmen die Anregungen dankbar auf und freuen sich genauso über Inhalte wie ein bisschen Quatsch…
Übrigens haben wir auch schon ein paar Ideen für das nächste Schuljahr…
Tipps und Tricks für die Online-Schule
- Keine Angst davor haben, sich ein bisschen zum Affen zu machen. Kinder sind sehr dankbar dafür, die Lehrer „persönlich zu sehen“ und freuen sich, wenn es auch mal Quatsch gibt. Es ist nicht peinlich
- „Magie“ einbauen (z.B. ins Bild hüpfen, Sachen herzaubern – kann man gut im Schnittprogramm bearbeiten und macht den Kindern Spaß)
- Genau den Ablauf in Stichpunkten notieren, am besten auf kleinen Karten für die Übersicht, Namen farblich markieren, damit man niemanden vergisst
- Transparent sein: jeder macht mal Fehler, das passiert genauso im Präsenzunterricht wie auch im Video. Die Kinder dürfen einen auch darauf aufmerksam machen, das schärft die Aufmerksamkeit
- Bei jungen Schülerinnen und Schülern nicht zu viel voraussetzen, d.h. jeder Schritt wird genau erklärt, sowohl die Vorbereitung als auch die Durchführung. Beispielsweise beim Basteln: Arbeitsplatz vorbereiten, Material bereitlegen, genaue Durchführung zeigen)
- Mit Kameramann: Durchführung und Planung genau besprechen
- Ohne Kameramann: Stativ oder Halterung für Kamera oder Handy nutzen, um sich selbst aufzunehmen
- Themen am Unterricht orientieren aber auf Kameratauglichkeit überprüfen. Wie kann man es ansprechend aufbereiten, damit das Thema auch zu Hause / über den Bildschirm interessant ist
- Interaktionsmöglichkeiten mit Schülern überlegen – z.B. Rätsel aufgeben, Aufgaben stellen und die Antworten der Kinder im nächsten Video einbeziehen – so fühlen sie sich angesprochen und bestätigt
- In dieser Interaktion vor allem die positiven Seiten zeigen, Fehler nur individuell besprechen
- Wenn man nicht selbst vor die Kamera möchte – andere Möglichkeiten ausloten – z.B. Hände zeigen und dazu sprechen. Kleines Stop Motion Video erstellen, mit Figuren (z.B. Knetfiguren) arbeiten oder nur Aufgaben direkt zeigen… vieles ist möglich 🙂
Laden Sie sich hier die Tipps und Tricks als PDF herunter.
Die Videos der Online-Bärenschule können Sie sich hier anschauen: Zur Bärenschule
Lassen Sie sich inspirieren oder klicken Sie durch die kleine Bildergalerie.
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